Ich habe heute wieder einen interessanten Artikel gefunden, diesmal von Kathrin Spoerr, in „Die Welt“: http://www.welt.de/vermischtes/article115094785/Warum-sich-jemand-bewusst-fuer-Hartz-IV-entscheidet.html
Ich bin mir sicher, dass dieser Artikel polarisiert. Klar ist, dieses Lebensmodell können nicht alle übernehmen. Das wird aber auch nicht passieren, Menschen sind
verschieden. Jede Seele geht ihren eigenen Weg.
Was ich interessant finde, ist die Tatsache, dass Frau Müller nicht - wie die meisten anderen Hartz IV Empfänger - unter ihrer Situation leidet, sich als Opfer
fühlt, sondern sich frei für diese Art des Lebens entschieden hat.
Wer Sozialsysteme nutzt ist für mich nicht zwingend Schmarotzer. Jeder Rentner macht das auch, wer Rentenversicherung oder Arbeitslosenversicherung gezahlt hat,
hat damit Ansprüche erworben. Nicht alle profitieren in gleicher Weise davon, das ist eben die soziale Komponente.
Frau Müller verstößt auch nicht gegen Gesetze, sie nutzt nur eine Lücke. Wenn Bewerbungen ausreichen, um Leistungen zu empfangen und die Qualität der Bewerbung
nicht im Gesetz verankert ist, macht sie nichts falsch, aus Sicht des Gesetzgebers.
Bleibt die Frage der Moral. Ich glaube das ist für viele der Knackpunkt. Was ist Moral? Anstand, der auf
tradierten Glaubenssätzen beruht. Bei indigenen Völkern ist man nicht nur als produktives Mitglied des Clans akzeptiert. Sie gehen davon aus, dass jeder seinen Teil zum Ganzen beiträgt, wodurch
auch immer. Moral ist nicht die Wahrheit.
Mich würde interessieren - und das gibt der Artikel leider nicht her - wie das bei Frau Müller aussieht. Wie lebt sie ihre Rolle? Sie kann nicht als
Vorbild anzusehen sein und doch ist ihr Leben eine Botschaft an die Gesellschaft.
Auf meine Vermutung "alte Seele" bin ich gekommen, weil sie nur nimmt, was sie braucht. Sie gönnt sich etwas, ist kein Asket. Sie zeigt Anteilnahme für Vögel,
denen sie ebenfalls etwas gönnt, sie nimmt nicht das billigste Futter.
Sie hat ihre eigenen Regeln und lässt den anderen ihre. Sie zeigt trotzdem eine klare ICH-Position, Selbstliebe ist spürbar, aber ohne Egoismus. Weil sie frei sein möchte, aber klar aus dem "besser, weiter, höher, schneller - Leben" ausgestiegen, ist sie wohl keine junge Seele mehr, weil sie keinerlei Dramen mit ihrem Verhalten auslöst und auch nicht daran teilnimmt, also wohl auch keine reife Seele mehr.
Frau Müller schätzt Markenartikel und Biokost. Werthaltigkeit ist ihr Bedürfnis. Dabei zeigt sie keinen Neid und keine Anhaftung, sie hortet nicht, wirft aber auch nicht weg, was noch brauchbar ist. Sie hat einen Freund, nutzt ihn nicht aus, klammert nicht und lässt sich auch nicht vereinnahmen.
Sie sagt keinem, macht es mir nach, sie „mischt“ niemanden auf. Sie hat keine Angst um ihre Existenz, sie lässt das Morgen für sich sorgen.
Auch alte Seelen haben noch ein Ego, lassen sich jedoch nicht davon dominieren. Das Konkurrenzempfinden gegenüber den Türken, die in unser Sozialsystem einwandern,
ist hier das Indiz, Sie geht trotzdem zu einem türkischen Friseur.
Für mich ist sie eine alte Seele, man darf anderer Meinung sein.
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Tahtu (Mittwoch, 20 Juli 2022 10:51)
Ja, ich denke auch, dass es eine Alte Seele ist - eine Alt 7 Seele um es genau zu sagen. Auf dieser Stufe schwindet langsam das "mein" oder "dein". Wir geben, was wir geben können und nehmen, was wir brauchen.